Sonntag, 25. März 2007
Wer braucht schon Kinder?
Am 25. März 2007 im Topic 'Politik'
Der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Meisner hat die Familienpolitik der Bundesregierung als „Scheckbuchpolitik“ kritisiert, die an der demographischen Krise nichts ändern werde. In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt Meisner: „Alle wichtigen Probleme - so glaubt man - lassen sich mit Geld lösen.“

Der niedrigen Geburtenrate jedoch sei durch finanzielle Mittel nicht beizukommen. Die Gleichung „Je mehr Krippen, desto mehr Kinder“ sei falsch. So sei das Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren in keiner Gegend Deutschlands so ausgebaut wie in den Ländern der ehemaligen DDR, „und nirgendwo ist die Geburtenrate so niedrig wie dort“. Flexible Arbeitszeiten oder Teilzeitbeschäftigung seien für Paare, die daran denken, ein Kind zu bekommen, wichtiger als Betreuungsplätze.

„Kinder sind ein Geschenk“

Der Kardinal fordert, Deutschland brauche einen Mentalitätswandel. Es herrsche die Einstellung vor, Kinder seien eine „Last“, ein „letzter Luxus, den man sich leistet, wenn alles andere schon erreicht ist“. Die derzeitige Familienpolitik, so Meisner weiter, „unterstützt - ungewollt - diese Mentalität“. Denn insbesondere der Ausbau der Betreuung für die unter Dreijährigen „suggeriert, Kinder seien zwar nötig für die Gesellschaft, aber eine Last für die Eltern. Und damit diese Last möglichst wenig Beschwerden macht, fördert der Staat die elternlose Kinderbetreuung, während die Eltern weiter erwerbstätig bleiben. Bestraft werden - de facto - die Mütter oder Väter, die auf Einkommen verzichten, um sich zu Hause selbst ihren Kindern zu widmen.“

Meisner appelliert an die Deutschen: „Unser Land braucht eine Mentalität, die sagt: Kinder sind ein Geschenk und Elternschaft ist ein Ausdruck von Lebensfreude.“ Die Familienpolitik solle „Maß nehmen am Wohl des Kinder“. Meisner fährt fort: „Ich finde es schlimm, wenn viele Mütter aus finanziellen Gründen sobald wie möglich nach der Geburt eine Erwerbstätigkeit aufnehmen müssen. Manchmal geht es nicht anders, aber dient das dem Wohl des Kindes?“

Kinder bräuchten in den ersten Lebensjahren eine „feste und intensive Beziehung zu ihren Eltern“. Daher müsse es „Eltern, insbesondere Müttern“, ermöglicht werden, in den ersten Lebensjahren beim Kind zu bleiben, etwa durch höhere Kinderfreibeträge. „Seitens der Wirtschaft sollten alle Möglichkeiten von Teilzeitarbeit bis hin zu Heimarbeitsplätzen ausgelotet werden.“ Vor allem müsse es Möglichkeiten geben, nach einer großzügig bemessenen „Babypause“ wieder in den erlernten Beruf einzusteigen. „Und wenn dennoch die volle Berufstätigkeit von Vater und Mutter erforderlich sein sollte“, so der Kardinal, „dann wäre einer Kinderkrippe die Tagesmutter auf jeden Fall vorzuziehen.“

Quelle: FAZ

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Ruhe im Puff?
Am 25. März 2007 im Topic 'Politik'
Die Ermittlungen im Falle Volkswagen haben neue Dimensionen von illegalen Machenschaften in dem Konzern ans Licht gebracht. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Volkert genoß eine in der gesamten deutschen Großindustrie einmalige Machtstellung. Mit Billigung des zuständigen Vorstandsmitglieds standen ihm die Firmenjets ebenso zur Verfügung wie käufliche Frauen auf Unternehmenskosten. Zudem hat er eine bemerkenswerte Einkommenskarriere hinter sich gebracht: 1990 verdiente er umgerechnet 57 332 Euro - zehn Jahre später war es das Zehnfache.

Die wunderbare Lohnvermehrung kam so zustande: Volkert soll neben seinem Jahresgehalt von zuletzt 360 000 Euro jährliche Sonderzahlungen zwischen 200 000 und 300 000 Euro erhalten haben - zwischen 1994 und 2005 insgesamt 1,95 Millionen Euro. Daneben soll das Unternehmen 399 000 Euro durch Arbeitsdirektor Peter Hartz an die brasilianische Geliebte Volkerts gezahlt haben.

Auch Volkerts Vize soll Sonderzahlungen erhalten haben. Sein Kommentar: Als Führungskraft stehe ihm das Geld zu. Das war offenbar die gemeinsame Überzeugung des VW-Vorstands, dem seit 1993 Ferdinand Piëch vorstand, sowie der Betriebsräte und der in dem Unternehmen allmächtigen IG Metall. Denn seit 1991 wird bei VW eine geheime Vereinbarung über eine vermeintlich "gerechte Ermittlung des Arbeitsentgelts von Betriebsratsmitgliedern" praktiziert.

Sexparties auch für Manager

Danach erhalten - außer den bekanntgewordenen Sonderleistungen in Form von Schmiergeldern, Sexparties (auch für Spitzenmanager), Lustreisen mit Partnerinnen und bei anderen Anlässen auf Unternehmenskosten - speziell ausgesuchte Mitglieder der Arbeitnehmervertretungen neben ihrem Konzern- und Unternehmensbonus einen "persönlichen Leistungsbonus", wie er für Führungskräfte vorgesehen ist.

Solche Sonderleistungen sind gesetzeswidrig. "Die Mitglieder des Betriebsrates führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt", heißt es in § 37 Absatz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Diese Vorschrift kann weder durch Tarifvertrag noch durch Betriebsvereinbarung abgeändert werden. Die ausnahmslos verordnete Unentgeltlichkeit soll die innere und äußere Unabhängigkeit der Betriebsräte sichern.

Das Gesetz verbietet jede Gewährung eines offenen oder versteckten Entgelts für die Betriebsratstätigkeit. Maßgebend für die Festsetzung der Vergütung ist das Arbeitsentgelt derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit mit der des Amtsträgers bei der Übernahme des Amtes vergleichbar ist. Sein Entgelt ist nur an die Entwicklung seiner bisherigen Arbeitgruppe laufend anzupassen. Darin liegt das Verbot, die Vergütung der Betriebsratsmitglieder nach einer Bewertung der Betriebsratstätigkeit zu bemessen.

Betriebsräte dürfen nicht gekauft werden

Die Betriebsratsmitglieder sollen vom Arbeitgeber also nicht "gekauft" werden können. Das Gesetz soll die Gefahr einer Korrumpierung durch die Unternehmensleitung ausschließen. Für eine gesetzliche Neuregelung der Betriebsratsvergütungen könnten die Verantwortungslasten eines Betriebsratsmitglieds gerade in den Führungsämtern sprechen. Die Gesetzgebung ist jedoch solchen Anregungen nicht gefolgt.

Daß dies den bei VW handelnden Personen bewußt war, ergibt sich daraus, daß die Vereinbarung über die Sondervergütung als geheime Kommandosache behandelt wurde. Noch "geheimer" waren nach den Angaben von Hartz die Sonderleistungen an den Vorsitzenden Volkert, weil keine ähnlichen Begehrlichkeiten bei anderen Gesamtbetriebsratsmitgliedern geweckt werden sollten.

Nach § 119 BetrVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer ein Betriebsratsmitglied "um seiner Tätigkeit willen" benachteiligt oder begünstigt. Das kollusive Verhalten der Unternehmensleitung mit dem Gesamtbetriebsrat betrifft mehrere Ebenen. Die Sondervereinbarung über die Vergütung der Gesamtbetriebsratsmitglieder von 1991 verstößt klar gegen das Begünstigungsverbot. Eine fast abenteuerliche Dimension bekommt die über Jahre betriebene Beeinflussung der Entscheidungen der Arbeitnehmervertreter durch die Art und den Umfang der breit gestreuten "Nebenleistungen", für deren Organisation und Abwicklung eine eigene Abteilung im Vorstandsressort des Arbeitsdirektors eingerichtet war. Über die Verwendung großer Summen (Tarnwort: Vertrauensspesen) wurden keine Belege verlangt.

Nichts gewußt?

Dem neutralen Beobachter fällt auf, daß der Gesamtvorstand von VW - auch sein Vorsitzender Piëch - und die IG Metall, die dort seit je den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden stellt, von dem ganzen rechtswidrigen Treiben in Millionenhöhe nichts gewußt haben wollen. Was war denn mit dem Controlling und der Rolle des Vorstandschefs Piëch bei VW in dieser Zeit? Muß Hartz als Sündenbock für weitere in den Skandal verwickelte Kreise im Unternehmen und in der Gewerkschaft büßen? Nun heißt es zudem, der Strafprozeß gegen Hartz solle nach Vorabsprachen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung als quasi geheimes Schnellverfahren ohne Zeugenvernehmung über die Bühne gehen. Bahnt sich hier ein neuer Justizskandal an?

Die Straftat des § 119 BetrVG wird nach dessen Absatz 2 "nur auf Antrag des Betriebsrats, des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, des Unternehmers oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft" verfolgt. Ein Antragsrecht der betroffenen und geschädigten Arbeitnehmer ist nicht vorgesehen. Das Gesetz soll die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb gewährleisten. Doch was wird aus dieser Mitbestimmung, wenn ihre Spitzenfunktionäre sich einvernehmlich mit der Unternehmensleitung über Jahre hin durch geheime Vertragsregelungen begünstigen lassen - also die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gemeinsam mit der Unternehmensleitung verraten?

Fehlende Aufklärung

Das Gesetz enthält somit eine sinnwidrige Regelungslücke. Die Errichtung eines Betriebsrats können nach § 17 BetrVG drei wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs einleiten. Bei schweren Gesetzesverfehlungen der gewählten Arbeitnehmervertreter hat die verratene Belegschaft dagegen keinerlei Einfluß auf die Einleitung eines Strafverfahrens. Hartz war auf Vorschlag der IG Metall und mit deren Stimmen im Aufsichtsrat in sein Amt gekommen.

Die derzeitigen Umstrukturierungen bei VW hat der Aufsichtsratsvorsitzende Piëch, der in der Skandalzeit von 1993 bis 2003 Vorstandsvorsitzender war, zu einem erheblichen Teil nur mit den Stimmen der Gewerkschafts- und Belegschaftsvertreter und gegen Teile der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat durchsetzen können. Das spezielle "System Volkswagen" der Mitbestimmung funktioniert weiter. Gerade wer die Mitbestimmung erhalten will, muß aber entschieden für die vollständige Aufklärung der Vorgänge und für wirksame Schranken gegen eine Wiederholung eintreten. Daran fehlt es bisher.

WENIG SPÄTER...

Der Augias-Stall, der sich innerhalb des VW-Konzerns gebildet hatte, wurde wie befürchtet auch vor dem Landgericht Braunschweig nicht ausgemistet. Nach Vorabsprachen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ging der Strafprozeß gegen Hartz als quasi geheimes Schnellverfahren ohne Zeugenvernehmung über die Bühne. Aussagen von kessen Freudenmädchen blieben Peter Hartz ebenso erspart wie – was noch viel schwerer wiegt – eine Strafe, die dem Schaden, den er angerichtet hat, angemessen wäre. Der frühere VW-Vorstand kommt mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren und der Zahlung von 360 Tagessätzen, also einem Jahresgehalt, weg. Dieses Urteil wurde von dem Rechtsanwalt Christian Roßmüller in einer Kolumne für die Financial Times Deutschland (30. Januar 2007) als »illegitim« und »rechtswidriger Strafdeal« bezeichnet. Peter Hartz muß sich nun auch nicht vor Hartz IV fürchten, denn er fällt im Gegensatz zu denen, die die nach ihm benannten Regelleistungen beziehen, äußerst weich. Nach Schätzungen der Bild-Zeitung liegt seine Netto-Rente bei 25.000 Euro monatlich; das entspricht dem 72fachen des Hartz-IV-Regelsatzes von 345 Euro. Dazu dürften noch hohe Tantiemen für seine im laufenden Monat erscheinende Auto-Biographie »Macht und Ohnmacht« kommen.

Bei den Bürgerinnen und Bürgern muß sich nach diesem Prozeß zu Recht das Bild eines vermachteten Kartells aus Politik, Wirtschaft und Justiz festsetzen, bei der eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Trotzdem oder gerade deswegen hat der Prozeß gegen Peter Hartz eine hohe symbolpolitische Bedeutung. Der Mann, dessen Konzepte für Millionen Deutsche zum bitteren Schicksal wurden, ist nun ein verurteilter Straftäter. Die Enthüllungen um seine Person zeigen, daß im Manager-Kapitalismus der großen Aktien-Gesellschaften eben nicht der fähige und visionäre Unternehmer, sondern der käufliche Angestellte gefragt ist, der sich durch Zuwendungen aller Art einbinden und ruhigstellen läßt. Eine wirklich selbständige und verantwortungsbewußte Unternehmer-Persönlichkeit hätte wohl in einem Umfeld, wie es den VW-Konzern jahrelang dominierte, überhaupt keine Chance. Das, was da alles im Wolfsburger Biotop gedieh, ist symptomatisch für die späte Bundesrepublik. Einige Koofmich-Figuren dominieren das öffentliche Leben, während breite Schichten des Mittelstandes und der arbeitenden Bevölkerung den sozialen Abstieg fürchten.

Quelle: FAZ | Deutsche Stimme

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